Aus der Praxis: Digitale Lieferantensuche und Beschaffung im E-Commerce


Die Umsetzung einer globalen Beschaffungsstrategie erfordert viel Planung und ein klar definiertes Beschaffungsprofil. Digitale Tools erleichtern mitunter die Lieferantensuche in einem weltweiten Markt, aber sind keine Sofortlösungen. Über die alltägliche Arbeit bei der Lieferantensuche und die Unterstützungsmöglichkeiten, die die Außenhandelskammer bietet, haben wir mit Jörg Buck, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AHK-Italien, gesprochen. 


Herr Buck, welche Rolle nimmt denn eine AHK typischerweise ein, wenn es um die Lieferantensuche im Ausland geht? 

Wir unterstützen Einkäufer bei der Suche nach den idealen Lieferanten. Dafür haben wir verschiedene Servicemodelle aufgebaut. In Italien verwenden wir zwei Modelle. Das eine ist ein B2B-Matching. Da organisieren wir auf der Basis von präzisierten konkreten Business Opportunities z.B. technische Zeichnungen, die in Interviews formuliert oder erarbeitet wurden oder auch die Ausweitung von Produktionskapazitäten – die Bandbreite ist vielseitig, was an Bedarf entstehen kann. Hier suchen und arbeiten wir vor Ort beim Matching mit unseren Multiplikatoren, also mit Clustern, Verbänden, Banken zusammen.  

Das andere ist die individuelle Lieferantensuche. Da erstellen wir ein sehr detailliertes Lieferantenprofil und entwickeln aktiv einen „Ziel-Trichter“. Dabei legen wir fest, dass wir zu Beginn einen Pool von 10-20 Lieferantenkandidaten haben, diesen dann herunterbrechen und am Ende im besten Fall fünf bis sechs Vorgespräche führen. Daraus organisieren wir drei bis vier individuelle Treffen auf einer für den Kunden zusammengestellten Geschäftsreise. Aus Erfahrung wissen wir, dass am Ende der Akquise diese Lieferantenqualifizierung persönlich gemacht werden muss. Dies wird von unseren Projektmanagern betreut. 

Jetzt muss ich dann doch nochmal eine Nachfrage stellen. Ist diese Vorgehensweise denn typisch für alle AHKn bzw. gehen die meisten so vor?  

Die meisten AHKn gehen eigentlich so vor. Wir sind sehr spezialisiert. Das hängt mit der Marktqualität und der Markttiefe in Italien zusammen, vor allem aufgrund der hohen Anzahl an potenziellen Lieferanten. Wir gehen hier sehr individualisiert vor und beraten auch in Richtung unserer Kunden sehr individuell, damit am Ende die Qualität stimmt. Es gibt aber auch Länder, in denen die Vorgehensweise auf einem existierenden Pool basiert und dies auch ausreichend ist, weil man alle Lieferanten bereits kennt.  

Wenn Sie auf Lieferanten angesprochen werden, welche Rolle spielt die Digitalisierung bei den Einkäufern? Und zudem, welche Rolle spielt denn die Digitalisierung allgemein in diesem Zusammenhang?  

Bei unserem Kontakt mit Kunden nimmt die Digitalisierung eine kleinere Rolle ein. An sich spielt es aber eine Rolle, z.B. in der Kundenkommunikation. Wir haben eine Kunden-Cloud, über die kommuniziert wird, vor allem in Form von Cloud-gesteuerten Prozessen und Push-Nachrichten, z.B. wie weit ein Suchprozess vorangeschritten ist. Umgekehrt spielt es aber auch eine Rolle, wie der Kunde an uns herantritt. Wir merken, dass Digitalisierung Vorteile bringt, z.B. die Beschleunigung in der Lieferantensuche. Wir selbst sind auch als europäische Kammern unterwegs, was die Digitalisierung von Lieferantensuche anbelangt. Wir haben ein europäisches Beispiel, das Industrial Suppliers Forum (ISF), geschaffen. Auf der anderen Seite erkennen wir jedoch momentan auch noch Nachteile, zum Beispiel beim Matching, im Sinne, dass wir immer noch personalisiert nachqualifizieren müssen. 

Dies hat im Übrigen auch mit einem Zeitfaktor beim Einkäufer zu tun. Aus unserer Sicht verwechselt man oft „Digitalisierung mit Zeitersparnis“. Auch wenn man etwas digital abwickelt, wie z.B. auf der ISF Plattform, hat es trotzdem zur Notwendigkeit, dass ich Zeit auf der Plattform einplane, um unter anderem auf der Plattform mein eigenes Profil zu betreuen und auch nachzuschärfen. Das muss entsprechend organisiert sein. Hier unterstützen wir, beispielsweise im ISF mit Upgrade Services, insbesondere beim Thema Profilnachschärfung und umgekehrt bei der Präzisierung des Profils. Hier stellen wir oft fest, dass immer noch Nacharbeiten notwendig sind, bei denen wir Hand anlegen müssen. 

Es geht also noch nicht, dass ein Tool vollständig Profile und den Bedarf abfragt, das aus unserer Sicht hochqualitativ suchfähig ist und umgekehrt ein hochqualifiziertes Profil darstellen kann, was den Anbieter anbelangt. Auf den italienischen Markt bezogen, stellen wir schon fest, wo und wie wir hilfreich sein können. Es ist zu beobachten, dass bei Einkäufern bei der Optimierung der Lieferantensuche eine Arbeitsüberlastung sichtbar ist und wir hier mit unseren Dienstleistungen einen wirklichen Mehrwert für Unternehmen erbringen können. Was wir auch feststellen, physisch wie digital, ist das Thema „Eigendarstellung der Lieferanten“, in unserem Fall der italienischen Lieferanten. Diese lässt stellenweise zu wünschen übrig. Aus unserer Sicht etwas, was schnell zu einem Irrtum bei der Auswahl von Lieferanten führt. Lieferanten geben eine Eigendarstellung an einer Plattform ab, welche dann den Job für die Lieferanten machen soll. Das ist nach unserer Wahrnehmung ein Irrtum. Da müssen wir eben entsprechend nachlegen. 

Welche Kriterien werden denn zur Evaluierung herangezogen? Was sind Ihre Erfahrungen, mit welchen Punkten Einkäufer hier vorgehen? 

Unsere Erfahrung ist erstmal, dass auch deutsche Firmen nicht immer eine klare Vorstellung haben, wie konkret vorzugehen ist. Insofern ist das etwas, was wir in der Beratung erarbeiten. Dabei stellen wir, wahrscheinlich auch aufgrund des erwähnten Zeitdrucks, eine gewisse Unruhe bei unseren Kunden fest. Wir laden immer wieder dazu ein, gerade in dieser ersten Phase der Erstellung eines idealen Profils, diese Zeit zu investieren, um dann nachher wirklich präzise vorgehen zu können.  

Nach unserer Sicht sind das eine gute Handvoll von Kriterien: erstmal die Unternehmensgröße des Lieferanten, also wie viele Mitarbeiter hat der Lieferant, beispielsweise 10 bis 50, 50 bis 100, 100 bis 250. Die Umsatzgröße ist ein weiterer wichtiger Faktor. Im Fall Italien und sicherlich auch in anderen Ländern muss man aus deutscher Sicht wissen, dass es auch sehr interessante Zulieferer mit anderen Unternehmens- und Umsatzgrößen gibt, als wie man das vielleicht aus Deutschland gewöhnt ist. Hier muss man eine gewisse Offenheit gegenüber der Lieferantenauswahl an den Tag legen. Natürlich gehört auch die Auslandserfahrung der Lieferanten dazu, z.B. bisherige Referenzen.  

In einem nächsten Schritt werden die Kriterien dann konkreter: Was sind freie Produktionskapazitäten? Wie ist das technische Equipment? Wie sieht der Maschinenpark aus? Was sind die Lieferkonditionen? Was sind Flexibilitäten, die in einem zukünftigen Vertrag mitberücksichtigt werden können? Gibt es einen speziellen Spezialisierungsgrad, den man mitberücksichtigen muss? In der nächsten Phase über die Vorauswahl der Lieferanten hinweg, gehen Auswahl und Austausch schon sehr konkret über Erwartungen. Dies geschieht meistens basierend auf zuvor geteilten technischen Zeichnungen. 

Wenn Sie mit deutschen Unternehmen Erstkontakt haben, setzen diese digitale Lösungen und Tools ein, um Lieferanten zu finden, zu bewerten bzw. das Lieferantenmanagement zu betreiben?  

Das ist sehr unterschiedlich und kommt dann wiederum auf die Qualität des Einkäufers an. In der Regel nicht. Was es jedoch schon gibt, sind zum Teil vorqualifizierte Auswahllisten oder Lieferantenlisten. Wenn jemand schon die Möglichkeit hatte, vorzuarbeiten, so arbeiten wir auf Grundlage dieser Listen weiter bzw. qualifizieren diese noch nach.  

Wenn wir zum Zeitpunkt kommen, dass der Einkäufer seinen Lieferanten gefunden hat: Welche Rolle spielen digitale Anwendungen oder Plattformen bei der Umsetzung bzw. Betrieb der Lieferkette? Wie setzen Unternehmen dies um?  

Das ist auch hier stark abhängig von der Größe des Unternehmens. In deutschen Großunternehmen ist der ganze Lieferanten-Zulassungsprozess digital. Dadurch schafft man aus unserer Sicht vor allem administrative Erleichterungen für die Einkäufer in Großunternehmen. Von der digitalen Registrierung potenzieller Lieferanten bis hin zur Lieferantenkommunikation, - Zertifizierung, oder    -Audits ist fast alles digitalisiert. 

Bei KMUs ist das nach unserer Meinung aber noch nicht der Fall. Das ist jedoch sicherlich etwas, was sich rasant in die Richtung entwickeln wird. Wir sehen es im Moment fast ausschließlich und dann aber eben umfänglich bei Großunternehmen. Bei KMUs ist das noch nicht der Fall. 

Eine zweigeteilte Frage: Was sind denn aus Ihrer Sicht und Erfahrung die häufigsten Fehler, die Unternehmen machen, wenn sie ausländische Märkte erschließen und dort nach Lieferanten suchen? Kann dabei die Digitalisierung vielleicht sogar mal ein Risiko sein?  

Aus unserer Sicht ist der häufigste Fehler der Zeitfaktor. Viele Unternehmen haben nicht hinreichend Zeit, in die internationale Beschaffung zu investieren und dann auch Profile zu erarbeiten. Das ist eine große Hürde. Der Zeitdruck entsteht auch dadurch, dass Unternehmen sich zu spät um die Diversifizierung der Lieferkette kümmern, also Handlungsdruck existiert und dies nicht im Voraus geplant worden ist. Das bringt immer Nachteile in der Verhandlung. Das war ein großes Thema in der COVID-19-Pandemie, bei der sehr kurzfristig Lieferketten diversifiziert wurden. Dies war in der Dimension nicht planbar, aber ich denke, als ein Learning für die Zukunft ist zu empfehlen, ausreichend Zeit im Vorlauf zu planen, wie man Lieferketten breiter aufstellt bzw. diversifiziert. 

Insofern ist unsere Empfehlung, sich rechtzeitig um entsprechende Alternativen zu kümmern und eben die beim Markteinstieg oder bei der Suche nach neuen Lieferanten entsprechenden Zeitressourcen mit einzuplanen. Dies gilt auch, wenn man Externe beauftragt. Wir sehen das selbst bei uns im Industrial Suppliers Forum. Hier ist eine Mentalität bei den Unternehmen festzustellen, dass wenn mein Profil eingestellt ist, ich mich nicht mehr kümmern brauche und automatisch eine ganze Anzahl an Lieferanten auf mich zukommen. Jedoch muss das Profil selbst nachgepflegt und eine gewisse Zeitressource eingeplant werden. 

Welche Angebote halten denn die AHKn bereit, um Unternehmen bei der internationalen Beschaffung zu unterstützen?  

Bei der Lieferantensuche haben wir das digitale AHK Industrial Suppliers Forum (ISF). Das Forum ist kostenlos für deutsche Einkäufer für die gesamte Region Europa.  

Wir bieten auch eine einfache Lieferantensuche. Dabei streuen wir ein bestimmtes Thema erstmal nur über unser Multiplikatoren-Netzwerk ohne eine eigene aktive Suche. Weiterhin bieten wir auch eine individuelle Lieferantensuche an, also eine 1:1 Kontaktrecherche mit einer mehrstufigen Vorqualifizierung, die in der Regel zum Erfolg führt. Für den italienischen Markt empfehlen wir die individuelle Lieferantensuche. 

Darüber hinaus gibt es entsprechende physische und digitale Anschluss-Services. Beispielweise haben wir das Thema „Virtuelle Betriebsbesuche“ im Programm, vor allem weil das Reisen durch die Pandemie sehr eingeschränkt ist. Die Kollegen in China haben dies auch im Portfolio. Uns kann man beauftragen, wenn man jetzt nicht reisen kann oder will, oder keine Zeit hat. In Richtung Lieferanten-Qualifizierung, -Zertifizierung, -Auditierung bieten wir beispielweise für italienische Exporteure Dienstleistungen im Bereich Umwelt Compliance an. Hier gibt es dann umgekehrt auch Audits von Recycling Systemen, die wir mittlerweile zu einem sehr hohen Anteil digital durchführen und die sehr gut funktionieren. 

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Weitere Informationen rund um das Thema "Grenzübergreifender Online-Handel" sowie den Praxisleitfaden "Digitale Lieferantensuche / Beschaffung im B2C- und B2B-E-Commerce" finden Sie im Außenwirtschaftsportal der bayerischen Industrie- und Handelskammern.


14.03.2022
Stefan Plötz