Internationales Handeln wird immer beliebter, denn den Kund:innen ist es mehr und mehr egal, wo sie ihre Produkte bestellen. So überlegen viele Online-Händler:innen, neue Märkte zu erschließen und sich auf internationales Terrain zu wagen. Für den Praxisleitfaden "Erschließung von Absatzmärkten durch internationalen E-Commerce" haben wir mit Dr. Peter Raster von der Marawe GmbH über seine Erfahrungen gesprochen.
Herr Dr. Raster, in welche Länder verkaufen Sie?
International werden die Länder Frankreich, England, Italien, Spanien, Portugal, Schweiz und Österreich bedient. Auch die Idee, in die USA zu verkaufen, wurde eine Zeit lang in Erwägung gezogen. Das Problem ist jedoch, dass dort jeder Bundesstaat eigene Rechtsbestimmungen und unterschiedliche Steuerrechte aufweist und auch Schadensersatzfälle anders gehandhabt werden als in der EU. Daher ist das Aufwand-Nutzen-Verhältnis für den amerikanischen Markt negativ ausgefallen und so wurde diese Option wieder verworfen.
Wie kam es dazu, dass Sie sich dazu entschieden haben ins Ausland zu verkaufen?
Der Schritt ins Ausland zu gehen, war intern motiviert. Das Ziel war es, den Markt zu erweitern, um Skaleneffekte zu erreichen und somit die Effizienz zu steigern. Zuerst lag der Fokus auf dem englischsprachigen europäischen Raum, schnell wurden dann aber auch weitere Länder erschlossen. Ganz nach dem Leitsatz: Wenn sich die Produkte auf dem deutschen Markt gut machen, werden sie sich auch in anderen Märkten verkaufen.
Welche Kanäle nutzen Sie für den Verkauf im Ausland?
Der Verkauf findet ausschließlich auf elektronischem Weg statt. Überwiegend werden die Produkte über Amazon vertrieben. Hier gibt es einen Account, über den die verschiedenen Länder abgewickelt werden. Preisanpassungen werden mit Hilfe eines selbstprogrammierten Excel-Tools durchgeführt. Eine zweite Plattform, die genutzt wird, ist Ebay. Umsätze werden fast ausschließlich über diese Marktplätze generiert, wobei Amazon hier eindeutig dominiert.
Der Online-Shop nimmt in Bezug auf Produktverkäufe also eine untergeordnete Rolle ein, ist aber vor allem zur Informationsbeschaffung für Kunden sehr wichtig. Der Charakter der Marken kann auf den Plattformen aufgrund von strikten Vorgaben nur schwierig vermittelt werden und Infomaterial kann nur auf der eigenen Webseite individuell gestaltet und präsentiert werden.
Während die Nutzung der Marktplätze den Schritt ins Auslandsgeschäft (gerade anfangs) sehr erleichtern kann, birgt die Abhängigkeit auch Probleme. So wurde Marawe beispielsweise auf Amazon in Italien und Spanien gesperrt. Der Grund der Sperrung waren schlechte Bewertungen, die entstanden sind, weil Briefsendungen wiederholt nicht angekommen sind (und nicht verfolgt werden konnten), obwohl sie regelkonform versendet worden sind. Statt Marawe die Chance zu geben, diese Problematik aus der Welt zu schaffen, wurde die Sperrung veranlasst.
Amazon ist in allen Ländern stark standardisiert – braucht man überhaupt noch Markt kenntnisse?
Wenn man nicht den Luxus hat, alleiniger Anbieter für ein Produkt zu sein, ist es wichtig, den Markt und seine Konkurrenten zu kennen. Es ist hilfreich zu wissen, ob sich ähnliche Produkte verkaufen. Gerade als Produktentwickler ist es zudem hilfreich, die Konkurrenzprodukte zu kennen, um ein eigenes Produkt entwickeln zu können, welches die Schwächen des Konkurrenzprodukts nicht aufweist und besser auf Kundenbedürfnisse antwortet.
Sind Sie den Internationalisierungsprozess allein angegangen oder haben Sie dabei Unterstützung erhalten? Wenn ja, von wem?
Auch wenn Unterstützung von außen sehr hilfreich sein kann, hat die Erfahrung gezeigt, dass es wichtig ist, Ratschläge zu hinterfragen und zu prüfen. Diese Notwendigkeit wird an folgendem Beispiel deutlich: Ein Kontakt hat den Rat gegeben, ein Versandlager im Ausland aufzubauen. Hintergrund hierbei war das Ziel, günstigere Versandkosten durch den Versand innerhalb des Landes zu erreichen. Worauf jedoch nicht hingewiesen wurde, war die steigende Komplexität, die eine Aufteilung der Lagerhaltung mit sich bringt und vor allem die Problematik von Lieferschwellen. So ist es beispielsweise so, dass in Österreich bis zu einem Umsatz von 35.000 € die Umsatzsteuer in Deutschland abgeführt wird. Sobald die Lagerung des Produkts jedoch im Zielland stattfindet, ist die Umsatzsteuer ab dem ersten Euro im Zielland fällig. Diese wichtige Information wurde nicht kommuniziert.
Außerdem fand eine Teilnahme an dem Projekt „Go International“ statt. Hierbei handelt es sich um ein Förderinstrument für z. B. Übersetzungsdienstleistungen und die Erstellung von Werbematerial. Aufgrund eines zu hohen bürokratischen Aufwands, der mit hohen Personalkosten und einem hohen Zeitaufwand verbunden war, war das Projekt jedoch nicht wirtschaftlich.
Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Erfolgsfaktoren für grenzüberschreitenden E-Commerce?
Die Aufbereitung des Produkts und Shops sowie ein Kundenservice in der Ländersprache sind sehr wichtig. Man muss den Kunden in seiner Landessprache ansprechen (Englisch ist nicht ausreichend). Auch sollte man berücksichtigen, dass Aufgaben wie z. B. die Anpassung des Online-Shops und der Etiketten zeitintensiv sind und häufig mehr Zeit in Anspruch nehmen als erwartet wurde. Ferner eignen sich nicht alle Produkte gleichermaßen für die Internationalisierung. So gilt die Faustregel: Je beratungsärmer ein Produkt ist, desto besser eignet es sich für den internationalen Markt. Weiterhin ist eine funktionierende und zuverlässige Logistik im Ausland ein entscheidendes Erfolgskriterium, da Pakete trotz Versandverfolgung häufig nicht am Zielort ankommen. Oft ist der Händler im Auge des Kunden hier der Schuldige und Vertrauensverlust sowie Kundenschwund sind vielfach die Folge. Eine Möglichkeit, diesem Problem aus dem Weg zu gehen, ist beispielsweise die Nutzung der Versandlogistik von Amazon (Amazon-Versandlager). In diesem Fall übernimmt Amazon die Verantwortung für die Zustellung von Paketen. Dieser Service ist jedoch für Gefahrengut ausgeschlosen, sodass Marawe bei vielen Produkten nicht darauf zurückgreifen kann.
Was sind die gefährlichsten/größten Stolpersteine?
Falsche Erwartungen können ein Problem darstellen, und es ist wichtig, sich realistische Ziele zu stecken. So erwirtschaftet Marawe nach wie vor 70 bis 80 Prozent des Umsatzes im deutschsprachigen Raum, obwohl die Produkte ebenfalls in fünf weiteren Ländern angeboten werden.
Auch muss berücksichtigt werden, dass es in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Steuersätze gibt und ob Umsatzsteuermeldungen im Ausland fällig werden. Die Pflege der Bewertungen auf den verschiedenen Verkaufskanälen ist zeitintensiv und sollte gewissenhaft durchgeführt werden. Je mehr Länder bedient werden, desto aufwendiger ist natürlich diese Aufgabe.
Ferner stellen mangelnde Sprachkenntnisse häufig schwer zu überwindende Barrieren dar. Wie bereits erwähnt, sind komplexe Produkte sehr schwer zu verkaufen, da ein hoher Bedarf an Produktberatung besteht und es häufig schwierig ist, diese tiefgehende und spezifische Beratung in der Muttersprache der Kunden im Ausland zu leisten.
Auch die Thematik Logistik wurde bereits angesprochen und das Problem der mangelnden Kontrolle über die Warenzustellung. Die dadurch entstehenden negativen Kritiken können zu einem schlechten Ruf und folglich sinkenden Verkaufszahlen führen.
Im Bereich der Logistik stellt weiterhin das Retourenmanagement einen Stolperstein dar, da die Kosten hierfür von den Händlern getragen werden müssen und es sich in manchen Fällen schlichtweg nicht lohnt das Produkt zurückzuschicken, da die Versandkosten dem Warenwert ähneln oder gar gleichen. Daher mag es in einigen Situationen sinnvoll sein, eine Retourenadresse im Ausland einzurichten.
Welche Herausforderungen ergeben sich durch den Cross-Border-E-Commerce im technischen, personellen und organisatorischen Bereich?
Organisatorisch: Hier muss mit einem erhöhten Aufwand bei z. B. Erneuerungen von Produkten gerechnet werden, da Updates auf allen Plattformen für alle Länder eingepflegt werden müssen.
Technisch: Da Marktplätze in verschiedenen Ländern nicht immer gleich aufgebaut sind, muss hier auf alle Eigenheiten geachtet werden und jeder Marktplatz über Konnektoren separat angebunden werden.
Personell: Hier muss sichergestellt werden, dass für alle involvierten Bereiche ausreichend Mitarbeiter mit Sprachkenntnissen der jeweiligen Märkte zur Verfügung stehen.
Was ist Ihre wichtigste „lesson learned“?
Das A und O ist es, der Logistik-Thematik ausreichend Beachtung zu schenken und eine gut durchdachte Strategie hierfür zu entwickeln. Außerdem ist es entscheidend, dass das Produkt zu einem gewissen Mindestpreis verkauft werden kann, so dass sich eine Paket-Sendung lohnt und nicht einen Großteil der Gesamtkosten ausmacht. Auch ist es wichtig, die Spielregeln der Marktplätze zu kennen und zu beachten, um keine Strafzahlungen oder Sperrungen zu riskieren. Des Weiteren sollte einem bewusst sein, dass eine Automatisierung der Verwaltung der Produkte auf Plattformen fast unumgänglich ist, da durch die internationale Tätigkeit die Anzahl der Positionen, die bei Änderungen aktualisiert werden müssen, stark anwächst. Selbst bei einem relativ kleinen Produktportfolio ist das der Fall.
Was würden Sie Händlern, die ihr Online-Geschäft international erweitern wollen, abschließend mit auf den Weg geben?
Grundsätzlich sollte zuallererst geprüft werden, ob ein Produkt für die Internationalisierung geeignet ist. Ein wichtiges Schlagwort ist hier wie bereits erwähnt die Komplexität des Produkts und ob das Unternehmen die nötige Unterstützung und Beratung im Ausland bieten kann. Die Internationalisierung kann ein sehr lohnender Schritt sein, aber hierfür muss die Bereitschaft gegeben sein (gerade anfangs) vermehrt Ressourcen zu investieren.