Dr. Heike Winter, Volkswirtin und in der Deutschen Bundesbank für den Bereich Digitalisierung im Zahlungsverkehr verantwortlich, spricht auf dem ibi-Zahlungsverkehrsforum 2025 über den aktuellen Stand des digitalen Euro. Wir haben vorab mit ihr darüber gesprochen. Für Heike Winter ist der digitale Euro ein möglicher Schlüssel zur Stärkung der europäischen Unabhängigkeit. Mit ihm ließe sich eine eigene europäische Infrastruktur aufbauen – inklusive der Option, Zahlungen auch offline abzuwickeln.
ibi research: Bereits 2023 sprachen Sie auf der BaFinTech in einem Vortrag über die geopolitischen Aspekte des Zahlungsverkehrs. Die Welt ist seitdem nicht stehengeblieben. Welche fünf Aspekte würden Sie Stand heute als am wichtigsten hervorheben?
Dr. Heike Winter: Ausgangspunkt waren 2023 die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf den europäischen Zahlungsverkehr. Finanzsanktionen, die als politisches Instrument gegenüber russischen Unternehmen und Personen eingesetzt wurden, betrafen auch den Zahlungsverkehr als ein strategisches Element. Seither steht der europäische Zahlungsverkehr vor neuen Herausforderungen.
Erstens ist der europäische Kartenzahlungsverkehr zunehmend von großen US-amerikanischen Kreditkartenunternehmen abhängig. Rund zwei Drittel der Kartenzahlungen in Europa werden derzeit von diesen Anbietern abgewickelt.
Zweitens ist das im Onlinehandel ganz ähnlich. Im E-Commerce greifen die Deutschen gerne auf Paypal zurück. Diese Abhängigkeit ist unter dem Souveränitätsaspekt problematisch. Vor allem in politisch unruhigen Zeiten sehen wir zunehmend Bedarf für ein eigenes europäisches Verfahren, das auch auf europäischen Infrastrukturen läuft.
Drittens erheben BigTechs und internationale Kartensysteme im E-Commerce vergleichsweise hohe Transaktionsgebühren von den Händlern. Wertschöpfung findet dann so zu einem großen Teil außerhalb Europas statt.
Viertens fließen mit jeder Transaktion sensible Zahlungsdaten aus der EU in die USA oder nach China und das zu privaten Unternehmen. Mit der Akzeptanz der AGB von Paypal geben viele Verbraucher sorglos ihr Einverständnis, dass ihre Daten an zahlreiche US-amerikanische Unternehmen weitergegeben werden. Datenhoheit geht anders.
Fünftens treten heute insbesondere US-Dollar gestützte Stablecoins als Alternative zu herkömmlichen Zahlungen auf den Plan. Diese Entwicklung könnte der Währungshoheit im Euroraum und unseren Banken schaden. Der Bundesbank ist es ein Anliegen, dass der Euro genutzt wird.
ibi research: Der digitale Euro könnte die Abhängigkeit von Nicht-EU-Anbietern und ihren Zahlungsmitteln verringern. Durch eine eigene Infrastruktur für den digitalen Euro und die Möglichkeit, den digitalen Euro auch offline zu nutzen, würde auch die Widerstandsfähigkeit des europäischen Zahlungsverkehrs steigen.”
Dr. Heike Winter: Eines unserer großen Anliegen ist es, mehr Bewusstsein für technologische Abhängigkeiten als strategisches Risiko zu schaffen. Die Kontrolle über kritische Infrastrukturen, Datenhoheit und politische Handlungshoheit stehen auf dem Spiel.
Von den Konsumenten hören wir oftmals, dass man doch schon überall digital bezahlen kann. Die Frage ist nur zu welchem Preis.
Als Zentralbank informieren wir darüber, dass diese Abhängigkeit problematisch werden könnte, und machen Privatkunden das Kleingedruckte in ihrem täglichen Zahlungsverhalten bewusst.
Auch in Unternehmen ist das Gefühl der Abhängigkeit von nichteuropäischen Dienstleistern entstanden. Der US-amerikanische Präsident könnte TechKonzerne dazu anhalten, ihre Dienste von einem auf den anderen Tag einzustellen. Ebenso könnten Zahlungssysteme gesperrt werden. Viele Unternehmenskunden wünschen sich daher einen digitalen Euro.
ibi research: Der digitale Euro als Zahlungsmittel muss für alle funktionieren. Doch was ist derzeit bei Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen? Was ist hier geplant?
Dr. Heike Winter: Der digitale Euro soll ein inklusives Zahlungsmittel werden, das für alle Menschen, auch für Menschen mit Einschränkungen, zugänglich ist. Das Eurosystem sieht Barrierefreiheit, auch basierend auf dem European Accessibility Act (EAA), als Ausgangspunkt bei der Entwicklung des digitalen Euro an.
Der Legislativvorschlag der Europäischen Kommission schreibt zudem den flächendeckenden Zugang zum digitalen Euro vor. Es soll Stellen geben, die Bürgern zur Seite stehen, wenn sie kein Bankkonto haben oder Unterstützung bei Zahlungsdiensten brauchen. Wie genau dies in jedem Land aussehen kann, wird aktuell diskutiert. Hierbei werden die Perspektiven der verschiedenen Betroffenengruppen einbezogen.
ibi research: Der digitale Euro muss online und offline funktionieren. Was sind hier derzeit noch die Hürden?
Dr. Heike Winter: Die größte Hürde ist der noch nicht abgeschlossene Gesetzgebungsprozess. Dafür hat die Europäische Kommission das Single Currency Package zur Einführung des digitalen Euro und Stärkung des Euro-Bargelds im Sommer 2023 vorgelegt. Dieser Legislativvorschlag wird derzeit im Europäischen Rat und hoffentlich auch bald im Europäischen Parlament verhandelt. Denn ohne gesetzliche Grundlage kann das Eurosystem den digitalen Euro nicht in Verkehr geben.
Frau Dr. Winter, vielen Dank für das Gespräch! Wer Sie gerne live erleben nöchte, kann das am 4. und 5. Dezember in Frankfurt am Main. Programm & Anmeldung unter zahlungsverkehrsforum.de.