Die Verbindung von Technologie, Prozessen und Strukturen ist ein
wichtiger Erfolgsfaktor für den digitalen Vertrieb. Welchen Vorteilen und
Herausforderungen Händler bei monolithischen bzw. modularen IT-Systemen
begegnen und welche Fähigkeiten im IT-Management wichtig sind, erklären uns
Tine Steiner und Stefan Michalk von eCube.
ibi research: Frau Steiner, Herr Michalk, bitte stellen Sie sich und Ihr
Unternehmen kurz vor.
Tine Steiner (TS): eCube befähigt Unternehmen, ihre Kunden digital zu begeistern. Gemeinsam mit
unseren Kunden schaffen wir Ökosysteme aus Technologien, Prozessen und
Strukturen für den digitalen Vertrieb. eCube entwickelt nicht nur
Enterprise-Lösungen, sondern berät auch in strategischen Fragen rund um das
digitale Business. Ich leite das Marketing bei eCube.
Stefan Michalk (SM): Ich bin als
Spezialist für agile Softwareentwicklung tätig.
Was sind die Vorteile von modularen IT-Systemen im Vergleich zu
monolithischen IT-Systemen?
TS: Mit „modular“ meinen wir serviceorientiert. Dabei besteht ein System nicht
aus einem Guss, sondern setzt sich aus funktionalen Komponenten (Services)
zusammen, die über Standard-Schnittstellen vernetzt werden.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Modulare Systeme
können konsequent auf den individuellen Bedarf zugeschnitten werden und lassen
sich zudem dauerhaft flexibel an neue Anforderungen anpassen bzw. erweitern.
Die Services können selbst entwickelt oder fertige Komponenten eingekauft
werden. Zudem können Zuständigkeiten für die Wartung und Weiterentwicklung
dezentralisiert werden. Das ermöglicht kleinere und agilere Teams.
SM: Um
Missverständnissen vorzubeugen: Auch monolithische Systeme können individuell
angepasst und erweitert werden. Mit jedem Eingriff und jeder Anpassung kann
jedoch die Komplexität des Gesamtsystems zunehmen und das Verhältnis von
Aufwand und Risiko versus Nutzen von Anpassungen zunehmend ungünstiger werden. Es
gibt Systeme, die im Laufe der Jahre so starr geworden sind, dass sie sich kaum
noch wirtschaftlich betreiben lassen.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für einen
Händler, wenn er die IT-Systeme von einem monolithischen auf ein modulares
System umstellen möchte?
TS: Die Umstellung
von monolithischen (z. B. auf Basis von Komplettlösungen) auf modulare Systeme
(z. B. Headless Commerce) bedeutet einen Paradigmenwechsel sowohl in
technologischer als auch organisatorischer Hinsicht. Oft müssen Strukturen und
Systeme über den E-Commerce hinaus transformiert werden, um den digitalen
Verkauf nahtlos integrieren zu können.
SM: Die Herausforderungen sind Folgende:
Händler müssen das Denken in Komplettlösungen ablegen und mehr in
dynamischen Ökosystemen mit vernetzten Strukturen denken.
E-Commerce ist konsequent an Bedarf sowie Business-Nutzen zu orientieren,
nicht an dem, was technologisch gerade angesagt ist.
Zentrale bzw. generalistische Teams müssen ggf. auf dezentrale bzw. spezialisierte
Teams umgestellt werden.
E-Commerce-Systeme dürfen keine Insellösungen sein, sondern müssen in
bestehende IT-Landschaften integriert werden, wobei diese ggf. mit
transformiert werden müssen.
Was sind im Bereich IT-Management in Zeiten von Corona die wichtigsten
Fähigkeiten, die ein Unternehmen haben sollte?
TS: Wir beobachten eine wachsende Offenheit gegenüber Digitalisierung und im
Idealfall zunehmende Bereitschaft, Neues zu probieren. Das ist wichtig, wenn
man die Krise als Chance nutzen will. Das IT-Management in Unternehmen sollte
die Chance ergreifen, sich als Enabler bzw. Partner des Vertriebs neu zu
definieren: Weg von „Drucker-Toner“-IT hin zum kompetenten Partner, der
Initiativen orchestriert und fachlich begleitet. Weg von der IT als
Kostenstelle hin zu Profitcenter. Das bedeutet im Einzelfall, dass die IT
eigene Regeln und Dogmen auf den Prüfstand stellen und an neue Anforderungen
anpassen muss.
SM: Das neue
Normal im IT-Management kann folgendermaßen beschrieben werden:
Strategisches Technologie-Management: Steuerung der gesamten IT (inkl.
E-Commerce) gemeinsam mit Fachabteilungen und TOP-Management
Neue, agile Arbeitsweisen im E-Commerce und darüber hinaus etablieren,
Agilität in der Unternehmens-DNA verankern
Langfristige Perspektive/Vision für Digitalisierung des Vertriebs und
darüber hinaus verfolgen, nicht durch kurzfristige Reflexe oder Aktionismus
vom Weg abbringen lassen
Sie haben einen smarten Weg zur Gästeregistrierung innerhalb kürzester
Zeit entwickelt. Wen haben Sie in dieses Projekt eingebunden und wie sind Sie
bei der Planung und Umsetzung vorgegangen? Welche Rolle hatten Sie persönlich
in diesem Projekt?
SM: Unter darfichrein.de entstand im Juni 2020 in nur wenigen Tagen eine Online-Plattform, die die
digitale Erfassung von Kontaktdaten z. B. in der Gastronomie oder bei
Veranstaltungen für alle Beteiligten vereinfacht und automatisiert.
Die Idee dazu kam mir gemeinsam mit einem guten Freund, der bei der Anstalt
für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) arbeitet. Dort werden auch die
Nutzerdaten gespeichert. Den Anlass für das Projekt gab der bundesweite
Hackathon #WirvsVirus, eine
gemeinsame Veranstaltung der Bundesregierung und sieben sozialer
Initiativen.
An nur einem Wochenende entstand ein Prototyp, das sogenannte Minimum
Viable Product, das wir gemeinsam mit weiteren Partnern wie beispielsweise dem
Bayerische Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Bayern e.V. sehr schnell zur
Marktreife bringen konnten. eCube hat mich mit dem notwendigen Freiraum und den
Tools für die Entwicklung sehr unterstützt.
Da wir nur wenige Tage für die Umsetzung hatten, sind wir nach agilen
Prinzipien vorgegangen und haben auf Technologien zurückgegriffen, die es uns
ermöglichten, sowohl das Projekt schnell zu realisieren als auch die hohen und
von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Anforderungen an das
Datenmanagement zu erfüllen.
Rückblickend
betrachtet: Würden Sie mit Ihrem jetzigen Wissen etwas anders machen?
SM: Ich würde es
genauso jederzeit wieder tun. Im Vergleich zu vielen Projekten, die wir bei
eCube realisieren, war die darfichrein.de-Plattform eher
ein kleines Vorhaben. Aber auch kleine Projekte müssen agil geplant und
umgesetzt werden, wenn sie schnell realisiert werden sollen. Es kommt darauf
an, sich von Beginn auf die Anforderungen zu konzentrieren, die zwingend erfüllt
werden müssen, damit die Plattform in Betrieb gehen kann. Vieles kann später
noch im laufenden Betrieb ergänzt oder feinjustiert werden.
Frau Steiner
und Herr Michalk, vielen Dank für Ihre Einschätzungen!