Empirie zu personalisierten Preisen im E-Commerce

Hintergrund und Zielsetzung

Preise für Waren und Dienstleistungen ändern sich immer schneller. Im E-Commerce sind diese Preisänderungen von besonderer Bedeutung. Denn einerseits herrscht online eine höhere Preistransparenz vor: Preise sind zumindest theoretisch für Kunden jederzeit einsehbar und vergleichbar. Andererseits ist es Händlern durch technische Maßnahmen möglich, ihre Preise kurzfristig zu verändern und beispielsweise auf Basis höherer Nachfrage oder der Tageszeit zu differenzieren – deutlich einfacher jedenfalls, als dies im stationären Handel der Fall ist. Im Extremfall könnte es mit entsprechendem technischem Aufwand sogar möglich sein, die Preise kunden- und nutzungsspezifisch zu individualisieren.

Dabei ist grundsätzlich zwischen zwei Arten von Preisdifferenzierung zu unterscheiden: der dynamischen Preisänderung als Anpassung auf Basis objektiver, kundenunabhängiger Faktoren und der personalisierten Preisänderung als Anpassung auf Basis individuell kundenabhängiger Faktoren. Insbesondere die personalisierte Preisanpassung kann aus Verbrauchersicht problematisch sein.

Es gab in Fachpresse und Öffentlichkeit immer wieder Vermutungen, dass personalisierte Preisdifferenzierung in manchen Marktbereichen bereits betrieben wird. Die in anderen Bereichen des Internets erkennbare immer stärkere Individualisierung – etwa bei der Online-Werbung oder der Anzeige von Suchmaschinenergebnissen – könnte sich also auch in der individuellen Preisgestaltung niederschlagen. Meist beruhten diese Vermutungen auf anekdotischen Berichten oder allenfalls stichprobenartigen Untersuchungen, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten. Eine umfangreiche empirische Studie war nötig, um den Sachverhalt belastbar zu belegen, war aber – soweit öffentlich bekannt – noch nicht durchgeführt worden.

Zu diesem Zweck wurde vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) dieses Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse nun vorliegen. Die interessierenden übergeordneten Forschungsfragen der Untersuchung waren:

  • Wird im Markt personalisierte Preisgestaltung verwendet?

  • Von welchen Kriterien hängt – für den Fall der Verwendung – die personalisierte Preisgestaltung ab und welches Ausmaß haben ihre Auswirkungen?

Projektverlauf und Ergebnis

Über einen Zeitraum von drei Monaten wurden die Preise erhoben, die auf unterschiedlichen Anbieter- und Preisvergleichsseiten für jeweils ein und das gleiche Produkt zum jeweils gleichen Zeitpunkt verlangt werden. Dabei wurden insbesondere die umsatzstärksten Online-Shops und -Plattformen im deutschen E-Commerce sowie die beliebtesten Preisvergleichsportale berücksichtigt. Es wurde darauf geachtet, eine möglichst breite Palette an Produktkategorien einzubeziehen.

Die Preise sollten daraufhin untersucht werden, ob die Preisgestaltung von nutzerindividuellen Merkmalen beeinflusst wird. Dazu zählen besonders, aber nicht ausschließlich, „technische“ Faktoren wie die Nutzung unterschiedlicher Endgeräte, Betriebssysteme, Browser oder das Setzen unterschiedlicher Datenschutzeinstellungen. In der Summe ergaben sich hier mindestens 100 relevante Kombinationen. Die Preise wurden zudem abhängig vom Standort des Nutzers untersucht. Hierfür wurden IP-Adressen aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands genutzt. Die Preise wurden auch in Abhängigkeit der Surfhistorie und/oder Social-Media-Aktivitäten der Nutzer untersucht.

In einem zahlenmäßig breiten Strang erfolgte die Datenerhebung automatisiert über eine selbst programmierte Software-Lösung, die für eine große Zahl virtueller Nutzer regelmäßig bei den untersuchten Seiten und Produkten die Preisinformationen erhob und zusammen mit den im jeweiligen Erhebungsszenario unterstellten Nutzungsfaktoren ablegte. Die oben dargestellten Eckwerte führten zu einer Zahl von rund 75.000 Datenpunkten pro Tag, das heißt rund sieben Mio. Datenpunkten im Erhebungszeitraum der drei Monate. 

In einem zahlenmäßig schmäleren Strang tätigten natürliche Personen manuelle Abfragen. Diese decken das Spektrum von „wenig kaufkräftig“ bis „sehr kaufkräftig“ ab und bringen sehr unterschiedliche Surf- und Kaufhistorien mit sich. Es konnte dabei aber nicht die volle Kombinatorik z. B. aller Endgeräte, Betriebssysteme, Browser und Standorte getestet werden.

Für die Auswertung wurde zunächst eine deskriptive Analyse der erhobenen Preisdaten vorgenommen. Im Zentrum der Analyse stand aber dann die multivariate Untersuchung der erhobenen Daten. Hierfür wurde die multiple lineare Regression herangezogen. Diese ermöglicht die Erklärung eines abhängigen Faktors (nämlich der relativen Preisdifferenz) durch mehrere unabhängige Faktoren (nämlich der zu untersuchenden Kriterien und deren Ausprägungen).

Dabei ist zu beachten, dass es nicht auf die Veränderung des Preises an sich ankommt. Entscheidend sind vielmehr Preisabweichungen. Daher wurde ein „Standardfall“ definiert, der als Grundlage für Preisvergleiche dient. Dieser entsprach einem Nutzer ohne Surf- und Kaufhistorie, der an einem Windows-Desktop-PC mit Google Chrome zum ersten Mal die entsprechende Seite besuchte. Die verwendete relative Preisdifferenz berechnet sich aus dem prozentualen Preisunterschied des jeweiligen Preises zum jeweiligen Standardfall. Folglich weisen Standardfälle als Bezugspunkt per Definition keinen Preisunterschied auf.

Die durchgeführte statistische Auswertung der gesammelten Daten konnte nicht bestätigen, dass personalisierte Preisgestaltung im Markt vorliegt und von Anbietern aktiv eingesetzt wird.

Der Schlussbericht kann hier kostenfrei heruntergeladen werden:

2021_Empirie_Studie.pdf (bmj.de)

Die Ergebniszusammenfassung finden Sie hier:

Zusammenfassung_Empirie.pdf (bmj.de)

Projektpartner

trinnovative GmbH

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